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Was bleibt, wenn das Geld nichts mehr kostet?

Was bleibt, wenn das Geld nichts mehr kostet?

Betrachtungen zur Lage · Ausgabe 10



Über Zinsen, Verantwortung und ökonomisches Erinnern


Es gab eine Zeit – und sie liegt kaum ein Jahrzehnt zurück – da galt der Zins als unverrückbare Konstante wirtschaftlichen Lebens. Er war der Maßstab für Risiko, der Filter für Investitionen, der Ausdruck von Knappheit und Vertrauen. Wer Kapital wollte, musste dafür zahlen. Wer sparte, wurde belohnt. Der Zins war nicht nur ein Preis – er war ein Prinzip.

Dann kam die Null. Und mit ihr eine Umwertung, wie man sie in der Finanzgeschichte nur selten erlebt: Geld hatte keinen Preis mehr. Schuldner wurden entlastet und Sparer enteignet. Kapital war nicht mehr knapp, sondern künstlich billig. Der Zins, früher Gradmesser für wirtschaftliche Vernunft, wurde zur politischen Stellschraube. Und wo er fehlt, da fehlt mehr als nur ein Prozentsatz – da fehlt ein Kompass.

Denn Zinsen sind mehr als Finanzierungskosten. Sie sind ein Signal. Sie zeigen, was möglich und was nicht tragfähig ist. Sie helfen, zwischen guten und schlechten Projekten zu unterscheiden. Sie disziplinieren Haushalte, Investoren, Regierungen. Und sie erinnern daran, dass Ressourcen begrenzt sind, selbst wenn die Geldmenge es nicht ist.

Die lange Phase extrem niedriger Zinsen hat dieses Bewusstsein verwischt. Sie hat Fehlanreize geschaffen: Spekulation statt Produktivität, Schulden statt Strukturreform, Vermögenspreisblasen statt realwirtschaftlicher Erträge. Die „billige Zeit“ hat das Risiko moralisch entwertet und das Sparen ökonomisch bestraft. Eine Wirtschaft, die kein Preissignal für Kapital kennt, gleicht einem Schiff ohne Tiefenmesser: Sie fährt, aber nicht mit Kurs, sondern mit Hoffnung.

Und diese Hoffnung ist trügerisch. Denn die Zinsen kehren zurück. Nicht aus Prinzip, sondern aus Notwendigkeit. Die Inflation zwingt zur Anpassung. Das Vertrauen braucht wieder eine Grundlage. Doch die Rückkehr des Zinses ist kein Reset, sondern ein Realitätsschock. Viele Geschäftsmodelle – privat wie politisch – waren auf billiges Geld gebaut. Wenn das Geld wieder kostet, zeigen sich plötzlich die Risse im Fundament.

Das eigentliche Problem liegt nicht im Zins selbst, sondern darin, dass man verlernt hat, mit ihm zu rechnen. Haushalte, die keine Preissteigerung kennen. Regierungen, die dauerhaft auf einem Defizit bauen. Unternehmen, die ohne Kapitalbindung kalkulieren. All das funktioniert, solange Geld kostenlos ist – und kollabiert, sobald es wieder etwas zählt.


Bilanzsatz:
Wenn das Geld nichts kostet, kostet alles andere zu wenig.
Zinsen sind kein Problem, sie sind Erinnerung an Verantwortung.
Und ökonomisches Erinnern ist die erste Form von Stabilität.