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Wie die Donbass-Separatisten vorgeben, ihren Mangel an Führungskräften behoben zu haben


Gegner, Führung & Kulturwandel

Vom Bataillon „Wostok“ zur 114. GardeSCHÜTZENBRIGADE (OMSBR)


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Slawa Ukrajini – Herojam Slawa!

Wir geben hier in eigener (sinngemäßer) Übersetzung einen Text von Aleksandr Chodakowski wieder, den er 2023 auf seinem Telegram-Kanal publiziert hat. Das Original ist im Wortlaut beigefügt.

Chodakowski ist einer der militärischen Führer der russischsprachigen Separatisten im Donbass (und mutmaßlicher Kriegsverbrecher). Mehr zur Person: siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Sergejewitsch_Chodakowski. 


Merke: „Wir müssen mit den Waffen des Gegners umzugehen lernen, doch mit dem gebührenden Ekel!“ (Nicolás Gómez Dávila)


Chodakowski identifiziert einige Ursachen der russischen Misserfolge, die er nicht nur in der fehlenden Qualität der unteren und mittleren Kommandoebene ausmacht, sondern in Form eines Systemfehlers im Denken der regulären russischen Streitkräfte.  

Das macht die Quelle in Teilen glaubwürdig.

Zugleich beschreibt Chodakowski, welchen Lösungsansatz er seit ca. 2014 für die Auslese von Führungskräften für die sogenannte Volkswehr oder -miliz der selbsternannten Volksrepublik Donezk (russ. ополчение/ opoltschenije)  praktiziert haben will. Er kommandierte das o.g. Bataillon "Wostok".


Die Quelle in Übersetzung


 "Was ist ein Führer? Zunächst einmal hat er Verantwortung. Jeder Führer hat seine eigenen Vorlieben, aber wenn er seinen Untergebenen Befehle geben will, muss er dafür die nötige Autorität besitzen. Verantwortung und Autorität sind die beiden Eckpfeiler von Führung. Jedoch kommt es oft vor, dass es in 'Kollektiven' informelle Führungskräfte gibt, die die Fähigkeit besitzen, Menschen zu beeinflussen. Und wenn der 'formale' Führer nicht über genügend Autorität verfügt, dann wird solch ein informeller 'Leader' schnell eine parallele Machtvertikale schaffen – das ist ein sehr gefährliches Phänomen.

Wie bin ich aus der Situation herausgekommen, als ich aus der Miliz militärische Formationen gebildet habe? Ich identifizierte diese informellen 'Leader' und machte sie zu legalen militärischen Führern. Militärische Erfahrung und das nötige Wissen kamen später dazu – in der Militärwissenschaft gibt es im Feld ein sehr enges Bedarfsspektrum. Aber die Fähigkeit zu führen, sich zu kümmern, Verantwortung zu tragen - das sind Eigenschaften, die die Militärschule nicht lehrt. 

Wir haben vor Ort so viele Probleme, nicht nur wegen des langwierigen Aufwuchses von Generälen oder weil sich die mobilisierten Kämpfer feige zeigen, sondern gerade wegen der schwach ausgebildeten Rolle der unteren und mittleren Kommandoebene. Unser Sergeant ist ein einfacher Kämpfer mit Streifen. Gleichzeitig wissen wir sogar aus [westlichen] Filmen, dass dort ein Sergeant für einen Soldaten zum Zaren und Gott werden kann. Und von diesen [Sergeanten, Zaren und Göttern - Wr] braucht man eine ganze Menge: Ein Sergeant oder auch ein junger Offizier, wozu jeder informelle 'Leader', auch ohne militärische Ausbildung, doch mit dem richtigen Charakter ausgestattet, qualifiziert werden kann, sollte im Feld als wichtigstes Glied der Kommandokette begriffen werden. Dafür muss aber das System des militärischen Denkens [der regulären russischen Armee - Wr] im Ganzen reformiert werden, da heute sogar ein Bataillonskommandeur als unbedeutender Bauer wahrgenommen wird [gemeint ist wohl, insofern Chodakowski hier nicht auf sich selbst anspielt, ein Bauer im Schachspiel - Wr] , dessen Meinung man zwar hört, ggf. beim Regiments- oder Brigadekommandeur, wobei diese in den Augen ihrer Vorgesetzten selbst nur wieder als tieffliegender Vogel wahrgenommen werden."


Die Quelle im Original


"Что такое командир? Это, прежде всего, ответственность. У командира есть свои преференции, но если командир хочет управлять - он должен пользоваться авторитетом у подчинённых. Ответственность и авторитет - два краеугольных камня процесса управления, но часто так бывает, что появляются в коллективах неформальные лидеры, которые обладают способностью влиять на людей. И если формальный командир недостаточно авторитетен, то такой лидер быстро создаст параллельную вертикаль власти - это очень опасное явление. 

Как я выходил из ситуации при формировании подразделений из ополчения? Я выделял неформальных лидеров и делал их командирами. Военная опытность и необходимые знания приходили потом - в поле очень узкий спектр потребностей в военной науке. Но умение управлять, заботиться, нести ответственность - это качества, которым военное училище не учит. 

У нас так много проблем на местах не только потому, что генералы долго перестраиваются или мобилизованные трусят, но и из-за слабой роли низшего и среднего командного звена. Сержант у нас - это боец с лычками. В то же время даже по фильмам вы знаете, что в тех же Штатах сержант - это царь и бог для солдата. Но нужна связка: сержанта или младшего офицера, которым может стать любой неформальный лидер без военного образования, но с нужным характером - должны воспринимать, как главное командное звено в поле. А для этого нам нужно полностью изменить систему армейского мышления, в которой сегодня даже комбат - незначительная пешка, мнение которого услышит, разве что, только его комполка или комбриг, который и сам в глазах начальства - птица невысокого полёта."


Analyse


Chodakowski benennt Probleme auf drei Ebenen der Kommandokette.

Er deutet an, indem er auf den langwierigen Aufwuchs von Generälen verweist, dass die Separatistenmilizen des Donbass seit ca. 2014 nicht von eigenen, sondern von Generälen der regulären russischen Armee kommandiert werden, die dafür in (damals) verdeckter Mission in die Ukraine entsandt worden sind.

Dabei zeitigen sich vom Soldaten aufwärts bis auf die Ebene des Bataillons-, Regiments- und Brigadekommandeurs systemimmanente (u. E. soziokulturelle) Konflikte mit der jeweils höheren bzw. mit der obersten (russischen) Führungsebene.

Er deutet ferner an, dass die Kampfmoral der mobilisierten Kämpfer, von denen viele zwangsmobilisiert (d.h. in die Miliz gepresst) worden sind, nicht nur von westlicher Seite, sondern ebenso von russischer Seite angezweifelt wird.

Von besonderem Interesse ist daher, dass auch Chodakowski, wie im klassischen militärischen Denken, die Qualität der unteren und mittleren Kommandoebene als wichtigstes Glied der Kommandokette begreift.

Dabei gibt er vor, für die Auslese dieser Ebene, die er mit westlichen Standards vergleicht, auf die sogenannten "informellen Leader" zurückgegriffen zu haben.

Führer dieser Ebene seien Zar und Gott des einfachen Soldaten.

Als Kriterien für deren Auslese habe er Eigenschaften angesetzt, die die Militärschule nicht lehre, sondern im Alltag (d.h. in der gelebten Kultur) verankert sind, nämlich die Fähigkeit zu führen, sich zu kümmern und Verantwortung zu tragen.


Fazit


Die russische Gesellschaft ist, wie auch die Quelle nahelegt, durch eine sich seit Jahrhunderten reproduzierende hohe "Machtdistanz" gekennzeichnet.

Dieser "Power Distance Index", der zur Analyse von Organisationskulturen als eine der bislang sechs global identifizierten Kulturdimensionen beschrieben worden ist, gibt an, inwieweit weniger mächtige Inidividuen eine ungleiche Verteilung von Macht akzeptieren und erwarten. 

Hohe Machtdistanz stünde dafür, dass Macht sehr ungleich verteilt ist, geringe Machtdistanz stünde dafür, dass Macht gleichmäßiger verteilt ist (s. Geert Hofstede: Lokales Denken, globales Handeln, Beck 2017). 

Zudem ist die russische Gesellschaft durch einen niedrigeren Individualismusindex gekennzeichnet als die westlichen ("Individualism versus Collectivism"). In Gesellschaften mit einem hohen Individualismusindex würden die Rechte des Individuums besonders geschützt: Selbstbestimmung, Ich-Erfahrung und Eigenverantwortung seien wichtig.

In einer kollektivistischen Kultur mit niedrigem Individualismusindex dominiere hingegen das Netzwerk, die Gruppe oder das Kollektiv. Für eine solche Kultur sei das Wir-Gefühl typisch (ebenda).

Dementsprechend kann das Verhalten auf den drei genannten Ebenen der russischen Kommandokette, die bei hoher Machtdistanz jeweils gruppenspezifische Interessen verkörpern, grob bestimmt werden: Der Sergeant handelt, da er seine Rolle als wichtigstes Glied der Kommandokette nicht umsetzt oder nicht umsetzen kann, als einfacher Kämpfer mit Streifen, zumal es ca. 10 Jahre braucht, um einen guten Unteroffizier auszubilden. Der mobilisierte Kämpfer handelt feige, da er von diesen schlecht ausgebildeten Unteroffizieren wiederum schlecht ausgebildet und geführt wird, sich dadurch als Kanonenfutter oder Geisel sieht und nicht verheizt werden will. Die obere und oberste Führung handelt traditionell menschenverachtend bis chauvinistisch (s. Quelle).

Ein grundlegender Wandel sowohl der genannten beiden Kulturdimensionen als auch ihres Zusammenwirkens, das sich in vielen, wenn nicht in allen russischen Organisationskulturen als konstituierend erweist (z.B. in Familie, Schule und Arbeitsleben), ist für die regulären russischen Streitkräfte b.a.W. nicht zu erwarten. Ihre Führungskultur ist, auch wenn sich, wie beschrieben, Neuansätze bei der Personalführung bis hin zur Auftragstaktik zeigen, tief in der russischen Kultur verankert. Eine hohe Machtdistanz bei gleichzeitigem niedrigen Individualismusindex, das wussten bereits - mutatis mutandis - die "Väter der Inneren Führung", reproduziert ihren eigenen Systemfehler. 

Gleichwohl gilt: Jeder lernt, auch die Russen lernen, solange sie nicht geschlagen worden sind, dazu.