Der metabolische Boom
Wie Biotechnologie, Daten und Kapitalmärkte den menschlichen Körper zur nächsten Wachstumsquelle machen

Noch nie stand der Stoffwechsel – biologisch wie ökonomisch – so sehr im Zentrum menschlicher Entwicklung. Während Biotechnologie, Datenanalyse und Präzisionsmedizin zusammenwachsen, entsteht ein neuer Wirtschaftssektor: die Stoffwechselökonomie. Sie verändert die Grundlagen von Gesundheit, Arbeit und Wachstum. Der „metabolische Boom“ ist Ausdruck einer neuen Phase des Fortschritts, in der Energie, Information und Körperprozesse zu einem einzigen System verschmelzen.
I. Vom Körper zur Gesellschaft: Stoffwechsel als Modell
Der Stoffwechsel ist ein präzises Zusammenspiel von Aufnahme, Verarbeitung und Regeneration. Er hält den Organismus in Balance, indem er Energie verteilt, Überfluss abbaut und Mangel
kompensiert.
Volkswirtschaften funktionieren nach ähnlichen Prinzipien. Kapital, Wissen, Energie und Vertrauen zirkulieren in Kreisläufen, deren Effizienz über Wohlstand entscheidet.
Was in der Medizin als metabolisches Syndrom gilt, hat in der Ökonomie sein Pendant: Überkonsum, Fehlallokation und Energieverschwendung. Beides führt zu chronischer Erschöpfung – des Körpers
oder des Staates.
II. Die neue Stoffwechselökonomie
Seit Beginn der 2020er Jahre formiert sich eine Ökonomie, die biochemische, digitale und verhaltensorientierte Innovationen integriert.
Medikamente wie Ozempic, Wegovy oder Mounjaro markieren nicht nur den Durchbruch der Präzisionsmedizin, sondern leiten strukturelle Veränderungen ganzer Märkte ein.
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Pharmaindustrie: milliardenschwere Umsatzverschiebungen und neue Forschungsprioritäten.
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Lebensmittelbranche: sinkende Nachfrage nach Zucker, Alkohol und hochkalorischen Produkten.
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Arbeitswelt: steigende Leistungsfähigkeit, wachsende Bedeutung von Prävention.
Gesundheit wird zur Produktivitätsgröße. Der Markt für metabolische Effizienz wächst schneller als klassische Konsumsektoren. Der Mensch wird zum wirtschaftlichen Faktor seiner eigenen biochemischen Balance.
III. Der technologische Stoffwechsel
Der nächste Wachstumsschub entsteht aus der Verbindung biologischer Daten mit maschineller Auswertung.
Künstliche Intelligenz simuliert Enzympfade, erkennt individuelle Stoffwechselmuster und optimiert Therapien in Echtzeit.
Damit entsteht eine neue Form der Wertschöpfung: Daten werden zur molekularen Ressource.
Wer die metabolischen Signaturen einer Bevölkerung versteht, kann Krankheitsrisiken, Ernährungsgewohnheiten und Produktivitätsmuster ökonomisch modellieren. Gesundheitspolitik wird zur
Industriepolitik
IV. Volkswirtschaftliche Prognose 2025–2035
Die OECD und führende Investmenthäuser schätzen, dass der globale Markt für metabolic health bis 2035 ein Volumen von 350 bis 500 Milliarden US-Dollar erreichen kann.
Im engeren Sinn – der „Stoffwechsel-Kernökosystem“ aus Präzisionspharma, Ernährung, Fitness und Datendienstleistungen – liegt das realistische Basisszenario bei etwa 250 Mrd. USD bis 2030 und 420 Mrd. USD bis 2035.
Jahr | Basis | Bandbreite |
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2030 | 250 Mrd. USD | 220–310 Mrd. USD |
2035 | 420 Mrd. USD | 350–500 Mrd. USD |
Segmentverteilung (2030–2035, Basisszenario):
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Pharma (GLP-1 & Nachfolger): 120 → 200 Mrd. USD
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FoodTech & FMCG-Shift: 70 → 120 Mrd. USD
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Wellness & Fitness: 30 → 50 Mrd. USD
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Daten & Services: 30 → 50 Mrd. USD
Regionale Gewichtung:
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USA: 45–55 % (schnelle Marktdurchdringung, hohe Zahlungsbereitschaft)
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Europa: 20–25 % (Preisregulierung begrenzt Dynamik)
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Asien: 20–25 % (Bioökonomie-Offensive, wachsender Mittelstand)
Wachstumstreiber: Pipeline-Reife, Produktionsausbau, medizinische Wirksamkeit, Konsumverschiebungen (Zucker und Alkohol sinken, Protein und
Mikronährstoffe steigen).
Risiken: Preisdruck durch Erstattungssysteme, Verträglichkeitsprobleme, Adhärenz, regulatorische Unsicherheit.
Die Marktdynamik ähnelt einer industriellen Revolution im Gesundheitssektor. Wer Forschung, Regulierung und Kapital früh bündelt, gewinnt strategische Souveränität – nicht nur im Pharmabereich, sondern in der gesamten Versorgungskette des Stoffwechsels.
V. Strategische Schlussfolgerung
Der metabolische Boom markiert den Übergang von der Industrie- zur Stoffwechselökonomie. Wachstum entsteht künftig nicht mehr aus Mehrproduktion, sondern aus Präzision: der optimalen Nutzung
biologischer, energetischer und informationeller Ressourcen.
Gesundheit, Ernährung und Produktivität bilden einen geschlossenen Kreislauf.
Die Volkswirtschaft der Zukunft ist ein Stoffwechselraum – effizient, vernetzt, anpassungsfähig.
Wer früh versteht, dass Wohlstand künftig im biologischen Gleichgewicht wurzelt, wird ihn sichern können.
Quellen (Auswahl, mit Kernaussagen)
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McKinsey (2025): GLP-1-Verordnungen +38 % p. a. (2022–24); ~100 Mrd. USD Umsatz bis 2030; sektorübergreifende Auswirkungen. McKinsey & Company
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McKinsey (2025): „Metabolic health revolution“ – strukturelle Effekte über das Obesitas-Thema hinaus. McKinsey & Company
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Reuters Breakingviews (2025): Markt bis 2030 ~130 Mrd. USD; starke Pipeline; Dominanz von Lilly/Novo potenziell rückläufig. Reuters
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UBS (2025 via Yahoo Finance): Revision 2030-Schätzung GLP-1-Sales auf ~130 Mrd. USD. finance.yahoo.com
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Euromonitor (2025): GLP-1 treibt globale Konsumverschiebungen in F&B ab 2026. Euromonitor
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OSU/Study (2025): Weniger verarbeitete Lebensmittel, Soda, rotes Fleisch unter GLP-1-Nutzern. news.okstate.edu
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UCDavis/FoodTech (2025): +55 % Obst/Gemüse, −65 % Softdrinks, −62 % Alkohol bei GLP-1-Nutzern (Surveybasis). foodandhealth.ucdavis.edu
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Evaluate/FiercePharma (2025): GLP-1-Klasse könnte ~9 % der Rx-Umsätze 2030 stellen. fiercepharma.com
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Lilly (2025, Q2): Guidance-Anhebung; Zepbound/Mounjaro treiben Umsatz. PR Newswire
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Novo Nordisk (2025, H1): Starke GLP-1-Umsätze; Kapazität & Guidance im Fokus. Novo Nordisk+1
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OECD (2023/2009): Bioökonomie-Rahmen & Carbon-Management—strategische Leitplanken für gesundheitsnahe Wertschöpfung. OECD+1
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