Kateryna schreibt nachhaus
Ein Brief aus dem Jahre 2030

Liebe Mutter! Lieber Vater!
Mir geht es gut hier in Deutschland. Ich hoffe, euch beiden, der Oksana, dem Mykola, der Halyna, dem Taras und der kleinen Sofija auch.
Sagt dem Taras und dem Mykola, sie sollen bald kommen. Wenn sie sehen würden, wie leicht das hier ist, sie würden sich wundern. Die Deutschen nennen das Armee. Für mich ist es mehr wie ein Erholungsheim mit Uniform.
Wir schlafen bis sechs Uhr. Das erste Mal dachte ich, die Sirenen hätten nicht funktioniert. Aber hier gibt es keine Sirenen, nur den Wecker. Keiner läuft in den Keller, keiner zählt, wer fehlt, keiner schleppt Wasser in der Nacht. Man richtet das Bett, putzt die Stiefel und wartet. Der Hauptfeldwebel sagt dazu Tagesroutine. Bei uns hieß das Pause, solange die Russen nachgeladen haben.
Das Frühstück ist zum Lachen. Brötchen, Marmelade, bunte Säfte in Gläsern, alles fein hingestellt, als ob gleich der Bürgermeister vorbeikommt. Aber kein Schwarzbrot, kein Schmalz, keine Zwiebel, kein Stück Speck. Ich frage mich, wie man mit Marmelade in den Krieg ziehen will. Die Deutschen trinken ihren Kaffee und tun so, als wären sie satt davon. Bei uns hieß es immer: Brot macht stark. Und Mutter, du hast gesagt, ohne Schmalz bleibt der Bauch leer wie ein Acker ohne Sonne. Zum Glück bleibt so mehr für mich übrig.
Die Märsche sind ein Kinderspiel. Zehn Kilometer auf Asphalt, und der Hauptfeldwebel nennt das Abhärtung. Ich musste lachen. Bei uns war Abhärtung, wenn du bis zu den Knien im Schlamm standest und bei Frost den Fluss durchqueren musstest, weil die Brücke weggeschossen war. Hier stolpern manche über ihre eigenen Schnürsenkel, und am Ende holt ein Lastwagen die Müden ab. Wäre der bei Bachmut erschienen, wir hätten ihn mit Brot und Salz empfangen.
Das Schießen ist beinahe zu leicht. Die Zielscheibe ist größer als unser Scheunentor und so still wie ein Schneefeld. Sie brennt nicht, sie schreit nicht, sie schießt nicht zurück. Die Munition liegt ordentlich gestapelt wie Gurkengläser im Keller. Ich denke an Nächte, in denen wir mit alten Schrotflinten in den Himmel geschossen haben, während Drohnen über uns kreisten. Jeder Schuss war mehr Gebet als Treffer. Vater, du hast immer gesagt: Wer den Himmel trifft, trifft auch das Herz. Hier bekommt man dafür eine Urkunde und ein Abzeichen.
Die Nahkampfausbildung ist fast wie ein Spaß. Ein Griff, ein Stoß, schon liegt einer unten. Und dann klopfen sie ab, als wäre das ein Spiel. Ich hab erst gedacht, das ist ein Witz. Bei uns im Dorf hat keiner abgeklopft. Da hast du aufgepasst, dass der andere nicht gleich die Mistgabel holt. Hier tragen sie Helme und Polster, als ob sie aus weichen Eiern gemacht wären. Die meisten fallen schnell. Nur die ganz Großen stehen. Mit denen ist es wie mit einem Ochsen im Stall. Er drückt, er scharrt, er stemmt sich gegen dich, und du weißt: Zähne zusammenbeißen, bis er müde wird.
Vergesst nicht, dem Taras und dem Mykola zu schreiben. Wer echten Krieg erlebt hat, für den ist die Bundeswehr ein Sanatorium. Hier zählt man keine Einschläge, hier zählt man Kalorien. Und wenn der Hauptfeldwebel sagt, wir seien in der Landes- und Bündnisverteidigung, dann denke ich an unsere verbrannten Felder und frage mich, welches Land und welches Bündnis er meint.
Alles Liebe an euch
Viele Grüße
Eure Tochter Kateryna