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Waffenrechtliches Bedürfnis für Reservisten

Waffenrecht für Reservisten

Europäische Lehren und deutsche Optionen


Reservistenverband | Dr. Wrede & Partner

1. Lage


Die sicherheitspolitische Landschaft Europas ist von einer dauerhaften Bedrohungslage geprägt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Grundannahmen der europäischen Sicherheitsordnung erschüttert. Deutschland reagiert mit einem verstärkten Ausbau der Bundeswehr und mit dem Aufbau territorialer Kräfte. Der Erfolg dieser Maßnahmen hängt wesentlich von der Einsatzbereitschaft der Reserve ab. Parallel wächst die Zahl der Ausbildungsfelder: Infanteristische Grundfertigkeiten, Drohnenabwehr, Cyber-Resilienz – alles verlangt Zeit. Das Schießtraining, das nach wie vor unverzichtbar bleibt, bindet erhebliche Ressourcen.


2. Auftrag


Der Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler (VDB) fordert, beorderte Reservisten mit einem waffenrechtlichen Grundbedürfnis auszustatten. Konkret soll jedem Mobilmachungsbeorderten der private Erwerb eines Grundkontingents von drei halbautomatischen Langwaffen und zwei Kurzwaffen erlaubt werden – analog zu Sportschützen, jedoch ohne Verbandsmitgliedschaft. Ziel ist es, das Schießen privat zu üben, Trockentraining durchzuführen und die Bundeswehr bei der Grundlagenausbildung zu entlasten.


3. Bewertung


a) Schweiz

Die Eidgenossenschaft ist seit Jahrzehnten das klassische Vorbild einer „wehrhaften Gesellschaft“. Im Rahmen des Milizsystems verwahren Reservisten ihre Dienstwaffen zuhause. Dieser Grundsatz erhöht die Mobilmachungsfähigkeit erheblich, da jeder Wehrpflichtige im Ernstfall unmittelbar einsatzbereit ist. Zudem sind Schweizer Bürger mit ihren Waffen vertraut, was die Ausbildung beschleunigt und die Schießfertigkeit auf einem konstant hohen Niveau hält.

b) Tschechien

Prag hat im Jahr 2021 sein Waffenrecht mit dem ausdrücklichen Ziel reformiert, die Verteidigungsfähigkeit der Bevölkerung zu steigern. Die Verankerung eines Waffenrechts in der Verfassung ist Ausdruck einer sicherheitspolitischen Kultur, die dem einzelnen Bürger im Ernstfall Verantwortung überträgt. Das tschechische Modell betont, dass staatliche Verteidigung ohne bewaffnete Bürgergesellschaft lückenhaft bleibt.

c) Litauen

Angesichts der unmittelbaren Bedrohung durch Russland gestattet Litauen seinen Soldaten und Reservisten den Erwerb vollautomatischer Waffen. Dies ist ein außergewöhnlicher Schritt, der das Vertrauen des Staates in seine Truppe bezeugt und die Wehrbereitschaft auf eine neue Stufe hebt. Er verdeutlicht, dass im Baltikum die Bewaffnung der Reserve kein theoretisches Konstrukt ist, sondern ein praktisches Element nationaler Sicherheit.

d) Estland

Auch Estland betrachtet den Zugang zu Waffen als sicherheitspolitisches Instrument. Der Verteidigungsminister selbst sprach sich dafür aus, der Bevölkerung den Waffenzugang zu erleichtern. Das Konzept basiert auf dem Gedanken, dass die kleine Nation nur durch eine „allseitig wehrhafte Gesellschaft“ glaubwürdige Abschreckung entfalten kann.

e) Finnland

Die finnische Regierung verfolgt eine langfristige, infrastrukturelle Antwort: Bis 2030 sollen 1.000 Schießstätten im Land verfügbar sein, darunter über 300 Neubauten im beschleunigten Verfahren. Damit wird die Schießfertigkeit in der Fläche verankert. Parallel erhält das Land die Wehrpflicht aufrecht und legt den Fokus auf die individuelle Einsatzbereitschaft jedes Bürgers. Finnland verbindet somit rechtliche, infrastrukturelle und kulturelle Elemente in einer Gesamtkonzeption wehrhafter Staatsbürgerlichkeit.

f) Ukraine

Der Krieg in der Ukraine hat bewiesen, dass der einzelne, gut ausgebildete Schütze von entscheidender Bedeutung bleibt. In urbanen Gefechten, bei Territorialverteidigung und beim Schutz kritischer Infrastruktur entscheidet die Fähigkeit des Individuums, sicher und präzise mit der Waffe umzugehen. Die ukrainische Erfahrung bestätigt, dass das Gefecht der Zukunft nicht nur von Hightech-Systemen geprägt sein wird, sondern ebenso vom geschulten Einzelschützen.

g) Deutschland

Die Bundesrepublik verharrt hingegen in einer restriktiven Tradition. Das Schießen in Reservisten-Arbeitsgemeinschaften (RAG) ist stark eingeschränkt, da die Nutzung von Bundeswehr-Standortschießanlagen seit Jahren abnimmt und vielerorts unmöglich geworden ist. Damit fällt ein wesentliches Instrument der freiwilligen Fortbildung aus. Gleichzeitig bleibt der private Waffenbesitz durch strenge Auflagen begrenzt – ein Gegensatz zu fast allen europäischen Vorbildern.


4. Schlussfolgerung


Die Analyse zeigt: Während unsere Nachbarn konsequent Strukturen schaffen, um ihre Reserve zu stärken, blockiert Deutschland sich selbst durch alte Vorbehalte. Ein waffenrechtliches Grundbedürfnis für Reservisten würde nicht nur die Einsatzbereitschaft steigern, sondern wäre auch Ausdruck staatlichen Vertrauens. Risiken wie Missbrauch oder Diebstahl sind real, lassen sich jedoch durch strenge Aufbewahrungspflichten und regelmäßige Überprüfungen kontrollieren.


5. Entscheidung


Wer die Reserve ernsthaft als Rückgrat der territorialen Verteidigung betrachtet, darf ihr nicht die Mittel verweigern, die sie im Ernstfall beherrschen muss. Die europäische Vergleichslage beweist: Vertrauen in die Bewaffnung der Reserve ist kein Sicherheitsrisiko, sondern die Grundlage glaubwürdiger Verteidigungsbereitschaft. Deutschland muss entscheiden, ob es diesen Schritt gehen will oder ob es auf einem sicherheitspolitischen Nebengleis verharrt, während andere Nationen die Wehrhaftigkeit ihrer Gesellschaft konsequent ausbauen.