Chinas Brain Gain
Wie Peking kluge Köpfe zurückholt und das globale Machtgefüge verschiebt
Rückkehrwelle von Wissenschaftlern, milliardenschwere Forschungsbudgets sowie ehrgeizige Talentprogramme machen China zur neuen Drehscheibe globaler Innovation. Was das für westliche Hochschulen, Unternehmen und Strategen bedeutet.

1 | Die Ranglisten-Revolution
Chinas Brain Gain zeigt sich inzwischen messbar, sowohl in Rückkehrquoten als auch in den internationalen Hochschulrankings. So ist die Tsinghua-Universität, gelegen im nordwestlichen Pekinger Bezirk Haidian, wo sich Forschung, Geschichte und Hightech konzentrieren, in nur sieben Jahren von Rang fünfzig auf Rang elf aufgestiegen. Die Peking-Universität belegt mittlerweile Platz fünfundzwanzig, die Zhejiang-Universität in Hangzhou, der Hauptstadt der Provinz Zhejiang, folgt auf Platz fünfundvierzig. Damit gehören sie zu insgesamt fünfzehn chinesischen Hochschulen, die in den Top 100 der US News Best Global Universities 2025 vertreten sind.
Hinter diesen Erfolgen stehen weder Zufall noch kurzfristige Effekte, sondern sowohl jahrzehntelange Investitionen in Forschung und Infrastruktur als auch gezielte Programme zur Rückgewinnung chinesischer Talente aus dem Ausland. Es handelt sich um ein langfristig angelegtes Projekt mit strategischer Konsequenz und institutioneller Disziplin.
2 | Das schwindende Amerika-Magnet
Im Studienjahr 2019/2020 reisten noch 372.532 chinesische Studierende an US-Universitäten. Im Jahr 2023/2024 waren es nur noch 277.398. Das entspricht einem Rückgang von über fünfundzwanzig Prozent. Inzwischen stellt Indien die größte Gruppe internationaler Studierender in den USA.
Zwischen 2010 und 2021 verließen fast 20.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler chinesischer Herkunft die USA. Dieser Trend beschleunigte sich ab 2018 deutlich, als die US-Regierung unter dem Titel „China Initiative“ ein Ermittlungsprogramm gegen vermeintliche Spionage ins Leben rief. Das Programm wurde 2022 eingestellt, aber es hat das Vertrauen der chinesischstämmigen Forschungsgemeinschaft nachhaltig erschüttert.
3 | Chinas Talent-Magnet in Zahlen
Im Jahr 2023 investierte China rund 780,7 Milliarden US-Dollar in Forschung und Entwicklung, was etwa sechs Prozent mehr war als im Vorjahr und inzwischen 96 Prozent der US-F&E-Ausgaben entspricht. Die Zahl der Vollzeit-Forschenden stieg 2022 auf 6,35 Millionen. Damit führt China die globale Statistik sowohl bei den absoluten Zahlen als auch beim jährlichen Zuwachs an.
Seit 1978 sind laut Angaben der chinesischen Regierung rund 4,23 Millionen im Ausland ausgebildete Fachkräfte nach China zurückgekehrt. Heute liegt die Rückkehrquote bei über 86 Prozent. Neben attraktiven Startpaketen spielen Programme wie der „Thousand Talents Plan“ eine zentrale Rolle. Rückkehrer erhalten dort nicht nur hochdotierte Grundgehälter, sondern auch Führungspositionen, Labore, Wohnzuschüsse und Zugang zu bedeutenden Forschungsnetzwerken.
4 | Hangzhous „Six Little Dragons“
Schaufenster des neuen Innovationsökosystems
Die ostchinesische Stadt Hangzhou ist Standort mehrerer aufstrebender Tech-Unternehmen, die unter dem Namen „Sechs kleine Drachen“ bekannt geworden sind. Diese Unternehmen stehen nicht nur für Chinas wachsende technologische Unabhängigkeit, sondern auch für den erfolgreichen Rückfluss junger Talente.
Beispiele:
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DeepSeek entwickelte ein konkurrenzfähiges Large Language Model (DeepSeek-V3) mit nur 2.048 GPUs und sechs Millionen Dollar Kosten. Zum Vergleich: westliche Modelle benötigen meist über zwanzigtausend GPUs und weit über hundert Millionen Dollar.
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Deep Robotics ist spezialisiert auf autonome Roboterhunde, die bereits eigenständig Hochspannungsleitungen inspizieren. Diese Systeme werden zunehmend in gefährlichen Umgebungen wie elektrischen Umspannwerken eingesetzt.
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Viele dieser Unternehmen wurden von Absolventinnen und Absolventen der Zhejiang-Universität gegründet, die inzwischen als „Mutter der Drachen“ gilt. Dazu gehören unter anderem auch Unitree, Game Science, BrainCo und Manycore Tech.
Die Biologin Yan Ning kehrte 2022 von der Princeton University zurück nach China, um in Shenzhen, unmittelbar an der Grenze zur Sonderverwaltungszone Hongkong, eine medizinische Eliteakademie aufzubauen. Sie steht exemplarisch für viele Rückkehrerinnen und Rückkehrer, die nicht nur wegen patriotischer Gefühle, sondern vor allem wegen exzellenter Forschungsbedingungen nach China zurückkehren.
5 | Was bedeutet das für den Westen?
Erstens bedeutet der Brain Gain für China, dass nicht nur Spitzenforschung, sondern auch unternehmerische Innovation zunehmend aus Fernost kommen. Die Forschung folgt Talenten und die Talente folgen Rahmenbedingungen. Wenn westliche Staaten entweder bürokratische Visa-Hürden aufrechterhalten oder Fördermittel kürzen, verlieren sie beides.
Zweitens führen Exportbeschränkungen für Hochtechnologie nicht automatisch zu einem Erhalt der Technologieführerschaft, sondern können den Innovationsdruck bei chinesischen Firmen sogar erhöhen. Viele Technologien wie fortschrittliche Halbleiter oder KI-Modelle werden in China inzwischen in Eigenregie entwickelt.
Drittens entsteht eine multipolare Wissenslandschaft. China wird nicht isoliert, sondern entwickelt neue akademische Partnerschaften, sowohl mit asiatischen Nachbarn als auch mit Ländern des Globalen Südens und zunehmend auch mit Teilen Europas. Wer hier außen vor bleibt, riskiert langfristig einen strategischen Wissensrückstand.
Viertens braucht es in westlichen Ländern eine Rückbesinnung auf die strategische Bedeutung von Wissenschaftspolitik. Wettbewerbsfähigkeit entsteht weder durch Abschottung noch durch Aktionismus, sondern durch gezielte Förderung, internationale Offenheit und den bewussten Umgang mit Talenten.
Fazit
Das Jahr 2025 ist nicht das Jahr, in dem China das globale Wissenschaftssystem übernimmt, aber es ist das Jahr, in dem sich die Richtung der globalen Talentströme sichtbar umkehrt. Die besten Köpfe wandern nicht nur aus den USA ab, sondern sie kehren auch zurück nach China oder gehen gar nicht erst ins Ausland. Wer künftig Forschung, High-Tech und Innovation mitgestalten will, muss nicht nur China ernst nehmen, sondern auch verstehen, warum es für viele kluge Köpfe so attraktiv geworden ist.
Quellenverzeichnis
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US News & World Report – Best Global Universities 2025
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SCMP: “The talent gambit: how the US’ brain drain is China’s brain gain” (15. Juli 2025)
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Institute of International Education: Open Doors Report 2023/24
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Inside Higher Ed: “Chinese scientists increasingly leaving US” (5. Juli 2023)
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OECD-Bericht zur F&E-Investition Chinas (2024)
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Ministerium für Wissenschaft und Technologie der VR China: Jahresbericht 2023
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SCIO: Rückkehrstatistik chinesischer Auslandsabsolventen (2024)
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Wikipedia-Eintrag zum „Thousand Talents Plan“ (Juni 2025)
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Medium: „Exploring DeepSeek-V3: A Technical Overview“ (31. Dezember 2024)
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Firmenprofil Deep Robotics (2024)
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Wikipedia: „Six Little Dragons“ (2025)
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Wikipedia: „Yan Ning“ (Zugriff: 20. Juli 2025)