KI: Mehr Leistung, weniger Miteinander
Was Organisationen jetzt tun müssen

Einleitung: Das Problem im Hintergrund
Die Künstliche Intelligenz verändert die Arbeitswelt mit hoher Geschwindigkeit. Sie automatisiert Prozesse, steigert die Effizienz und wird zunehmend als aktiver Bestandteil in Teams integriert. In zahlreichen Fällen lässt sich der Produktivitätsgewinn eindeutig belegen. Gleichzeitig jedoch zeigt sich eine stille Verschiebung: Während die Leistung steigt, gerät das soziale Gefüge innerhalb der Teams unter Druck.
Vertrauen, spontane Kommunikation und kollektives Lernen verlieren an Raum, wenn Maschinen Abläufe strukturieren und Entscheidungen vorbereiten. Es handelt sich um einen Fortschritt, der nicht laut auftritt, aber tief in bestehende Strukturen eingreift.
1. Der Stand der Dinge
Nahezu alle Unternehmen investieren mittlerweile in Künstliche Intelligenz. Dennoch fühlt sich laut einer aktuellen Studie von McKinsey nur ein Prozent organisatorisch und kulturell ausreichend vorbereitet, um KI sinnvoll und wirkungsvoll zu integrieren. Die Technik ist längst vorhanden, es mangelt jedoch an Orientierung und Führungsfähigkeit.
Gleichzeitig gehen 80 Prozent der Führungskräfte davon aus, dass KI nicht nur Prozesse, sondern auch die Teamkultur nachhaltig verändern wird. Das World Economic Forum prognostiziert zudem, dass bis zum Jahr 2030 etwa 70 Prozent der heute relevanten beruflichen Kompetenzen durch neue ersetzt oder grundlegend verändert werden. Es entsteht ein Handlungsdruck, der weit über die Technologie hinausreicht.
2. Drei Branchen, ein Muster
🔹 Industrie: Produktivität nimmt zu, Kommunikation nimmt ab
In der industriellen Fertigung senken sogenannte Factory Agents die Trainingszeiten um bis zu 40 Prozent, während gleichzeitig die Erstqualitätsrate um 30 Prozent steigt. Diese Systeme führen
Mitarbeiter durch Arbeitsprozesse, erkennen Fehler frühzeitig und schlagen individuelle Lernpfade vor.
Laut Revalize setzen bereits 43 Prozent der Werke auf KI-gestützte Qualitätskontrolle. 70 Prozent erhöhen ihre Software-Budgets, und 57 Prozent
erweitern ihre Engineering-Teams, um Daten- und Prozesskompetenz besser zu verknüpfen.
Mit dem Effizienzgewinn geht aber auch ein Verlust an persönlichem Austausch einher. Übergaben werden automatisiert, Abstimmungen in das System verlagert und viele Gespräche entfallen.
Entscheidungen basieren zunehmend auf Dashboards anstelle von Dialog.
Die Konsequenz lautet daher: Wer technologische Systeme einführt, ohne den sozialen Raum aktiv zu gestalten, riskiert Entfremdung statt Integration.
🔹 Gesundheitswesen: Entlastung entsteht, jedoch auf Kosten der Zusammenarbeit
In vielen Kliniken steuern KI-Agenten inzwischen komplette Patientenpfade, die sich von der Aufnahme über die Behandlung bis hin zur Entlassung erstrecken. Diagnostische Systeme erkennen
Schlaganfälle oder Frakturen deutlich schneller als der Mensch. Digitale Assistenten übernehmen Standardanfragen und entlasten dadurch das medizinische Personal spürbar.
Gleichzeitig wird der fachübergreifende Austausch seltener. Übergaben, Fallbesprechungen und interdisziplinäre Diskussionen werden zunehmend durch automatische Dokumentation ersetzt. Der
informelle, aber häufig entscheidende Dialog zwischen Ärzten, Pflegekräften und der Verwaltung droht zu verschwinden.
Eine mögliche Antwort darauf sind neue Strukturen wie die sogenannten AI Clinical Councils, in denen medizinische, datentechnische und ethische Perspektiven
systematisch zusammengeführt werden. Nur durch solche Formen der Integration kann der menschliche Kern der Versorgung erhalten bleiben.
🔹 Softwareentwicklung: KI als dritter Partner im Team
In der Softwareentwicklung ist der Einsatz von KI besonders weit fortgeschritten. 97 Prozent der Entwickler nutzen mittlerweile Tools wie GitHub Copilot. Diese
Assistenten übernehmen Routinetätigkeiten, dokumentieren Code oder generieren Funktionen. Die Zeitersparnis ist erheblich, und der Fokus verschiebt sich zunehmend von der Ausführung zur
Architektur.
Allerdings zeigen Studien: In komplexen Aufgaben kommt es zu Leistungseinbußen. Eine Untersuchung des METR-Instituts dokumentiert einen Rückgang der Effektivität um bis zu 19
Prozent bei erfahrenen Entwicklern, wenn zu stark auf KI vertraut wird.
Daraus ergibt sich ein klarer Bedarf an Spielregeln, an neuen Rollenprofilen und an einer Kultur technischer Mündigkeit. Andernfalls entsteht
ein paradoxer Effekt: Das Team wird scheinbar schneller, verliert jedoch an Tiefe und Klarheit.
4. Was Organisationen jetzt tun sollten
Erstens: Führung muss als gestaltende Kraft verstanden werden. Die Einführung von KI ist keine rein technische Maßnahme, sondern ein kultureller Wandel, der Orientierung, Moderation und Verantwortung erfordert.
Zweitens: Teams benötigen ein neues Kompetenzgefüge, das Fachwissen mit Datenverständnis und Veränderungsfähigkeit verbindet. Nur auf dieser Basis können Strukturen entstehen, die auch unter disruptiven Bedingungen tragfähig bleiben.
Drittens: Die Einführung von KI sollte schrittweise erfolgen, gestützt auf klare Pilotprojekte, messbare Wirkungsziele und eine bewusste Integration in bestehende Abläufe.
Viertens: Psychologische Sicherheit, Vertrauen und sozialer Rückhalt müssen bewusst gepflegt werden. Andernfalls wird Produktivität teuer erkauft – nicht mit Geld, sondern mit Unsicherheit und innerer Kündigung.
Fünftens: Mit dem Einsatz von KI steigt die Transparenz. Beiträge werden vergleichbarer, individuelle Leistung sichtbarer. Organisationen sollten frühzeitig festlegen, wie sie mit dieser Entwicklung verantwortlich umgehen wollen.
5. Fazit: Fortschritt braucht Gleichgewicht
Künstliche Intelligenz kann die Leistung von Teams deutlich steigern. Doch Leistung allein genügt nicht, wenn dabei das Zwischenmenschliche verlorengeht. Moderne Organisationen müssen beides im Blick behalten: die Effizienz und den Zusammenhalt.
Denn die eigentlichen Kosten entstehen nicht durch die Technik, sondern durch das, was still verschwindet, wenn es niemand bewusst schützt.
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