Wachstum ist kein Naturgesetz
Über das Missverständnis, Wohlstand sei ein Selbstläufer
Betrachtungen zur Lage · Ausgabe 2
Die Vorstellung, dass Wirtschaftswachstum so verlässlich sei wie der Sonnenaufgang – Jahr für Jahr, fast von selbst – ist ein Irrtum mit erstaunlicher Halbwertszeit. Seit den Nachkriegsjahren hat sich in vielen Köpfen die Idee verankert, Wohlstand entstehe gleichsam automatisch: Man müsse ihn nur gerecht verteilen. Doch Wachstum ist kein Naturgesetz, sondern Folge von Anstrengung, Vertrauen und Struktur. Wo diese fehlen, fehlt bald auch das Wachstum.
Wer Wachstum lediglich als quantitative Ausweitung missversteht, reduziert es auf Statistik. Doch in Wahrheit ist Wachstum nichts anderes als die aggregierte Folge individueller Entscheidungen – zu investieren, zu arbeiten, zu gründen, zu riskieren. Und diese Entscheidungen hängen nicht vom Wetter, sondern vom Rahmen ab. Steuerlast, Planbarkeit, Energiepreise, Regulierungsdichte – das ist die Grammatik der wirtschaftlichen Zukunft. Werden diese Parameter missachtet oder politisch verformt, dann schweigt der Unternehmer – und das Bruttoinlandsprodukt gleich mit.
Dass in Deutschland das reale Wachstum derzeit gegen Null tendiert, ist kein Betriebsunfall, sondern Resultat. Die Investitionstätigkeit bleibt zurückhaltend, die Kapitalbildung hinkt, die Arbeitsproduktivität stagniert. Gleichzeitig wachsen bürokratische Auflagen, steuerliche Belastung und die Erwartung an die Wirtschaft, gleichzeitig Arbeitsplatzgarant, Klimaretter, Sozialpartner und Sinnstifter zu sein. Das geht, wie der Hanseat sagen würde, „nicht alles von allein“.
Natürlich kann man auch ohne Wachstum leben – aber nicht auf dem Niveau, das man gewohnt ist. Und schon gar nicht mit dem sozialpolitischen Anspruch, den sich viele leisten wollen. Ohne Wachstum wird der Sozialstaat nicht kleiner, sondern unbezahlbar. Ohne Wachstum entstehen keine neuen Chancen, sondern neue Umverteilungskonflikte. Die sogenannte „Postwachstumsgesellschaft“ ist kein zukunftsweisender Entwurf, sondern eine sprachlich aufbereitete Schrumpfungserklärung.
Wachstum entsteht, wo man es zulässt. Es braucht keine staatlichen Programme, sondern marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen. Wer Gründungen behindert, Kapital verteuert, Erfolg skeptisch beäugt und Verantwortung kollektiviert, darf sich nicht wundern, wenn das Wachstum ausbleibt. Denn Märkte reagieren – nicht auf Appelle, sondern auf die Verhältnisse.
Die politische Klasse täte gut daran, nicht vom Wachstum zu reden, sondern es zu ermöglichen. Das beginnt mit der Wiederentdeckung des Privaten: Eigentum, unternehmerisches Handeln, Vertrauen in Verträge, Schutz vor fiskalischer Willkür. Solange wirtschaftliche Leistung als verdächtig gilt und Subvention als Strategie, bleibt das Wachstum, was es derzeit ist: eine entbehrliche Größe auf Papier.
Bilanzsatz:
Wachstum entsteht nicht aus Absicht, sondern aus Ordnung.
Es lässt sich nicht beschließen – nur ermöglichen.
Und wer es vergisst, wird sich bald erinnern müssen.