Von der Moral zur Marge
Warum ökonomische Realität die bessere Ethik schreibt
Betrachtungen zur Lage · Ausgabe 4
Man könnte fast meinen, Moral sei zur neuen Leitwährung der Wirtschaft geworden. Kaum ein Unternehmen, das nicht mit Haltung wirbt. Kaum ein Geschäftsmodell, das nicht mit gesellschaftlicher Verantwortung veredelt wird. Nachhaltigkeit, Diversität, soziale Fairness – es gibt kaum ein Label, das sich nicht in der Imagepflege unternehmerischen Handelns findet. Die Buchhaltung tritt zurück, der Wertekanon übernimmt.
Dagegen ist – für sich genommen – wenig einzuwenden. Doch dort, wo Moral zur betriebswirtschaftlichen Hauptkategorie wird, droht etwas aus dem Blick zu geraten: das ökonomische Fundament des Handelns. Denn am Ende lässt sich keine Lohnabrechnung mit Haltung begleichen, kein Lieferant mit Idealen entlohnen, kein Kredit mit Gesinnung bedienen. Die Frage ist also nicht, ob Moral wichtig ist, sondern wer sie trägt – und auf wessen Rechnung.
Ökonomische Realität ist keine Gegenmoral, sondern ein Prüfstein. Ein Unternehmen, das dauerhaft seine Kosten nicht deckt, handelt nicht ethisch – es handelt unbrauchbar. Eine Investition, die keine Nachfrage trifft, ist nicht mutig – sondern teuer. Ein Betrieb, der sich selbst moralisch überhöht, aber strukturell nicht rentabel ist, wird früher oder später keine Arbeitsplätze sichern, sondern Förderanträge schreiben.
Der Markt wirkt hier als nüchterner Korrektiv. Er prüft nicht, was gut gemeint ist, sondern was funktioniert. Und genau darin liegt seine ethische Kraft: Er zwingt zu Wahrhaftigkeit. Wer seinen Kunden enttäuscht, verliert sie. Wer seine Lieferanten unter Druck setzt, verliert deren Qualität. Wer das Risiko nicht tragen kann, trägt es nicht lange. Der Markt stellt keine moralischen Fragen – aber er stellt Konsequenzen her.
In einer Zeit, in der politische Debatten zunehmend über das „richtige“ Wirtschaften geführt werden, sei daran erinnert: Moral ohne Marge ist Subvention, und Subvention ist keine Tugend. Sie ist ein temporärer Schutzraum, der manchmal nötig, aber immer teuer ist. Und wer in geschützten Räumen moralisiert, darf sich nicht wundern, wenn draußen andere Maßstäbe gelten.
Die bessere Ethik ist nicht die lautere, sondern die tragfähigere. Eine unternehmerische Entscheidung, die wirtschaftlich funktioniert, zahlt Löhne, sichert Ausbildung, ermöglicht Investitionen – ohne dass sie sich als moralische Großtat geriert. Eine Ethik, die dauerhaft gegen ökonomische Prinzipien arbeitet, endet entweder im Etikettenschwindel oder in der Insolvenz – oft in beidem.
Bilanzsatz:
Moral, die nicht rechnet, bleibt Behauptung.
Marge, die funktioniert, schafft Vertrauen.
Wirtschaftsethik beginnt mit Zahlungsfähigkeit.