Der Markt kann verlieren – aber nicht lügen
Betrachtungen zur Lage · Ausgabe 3
Wer in diesen Tagen politische Sonntagsreden über die „gestaltende Kraft des Staates“ hört, könnte leicht den Eindruck gewinnen, der Markt sei ein störrischer Rest aus einer vergangenen Epoche – eine Art antiquiertes Tauschsystem ohne moralische Leitplanken. Dabei ist der Markt, bei allen Unvollkommenheiten, vor allem eines: unbestechlich. Er belohnt, was funktioniert, und bestraft, was nicht trägt. Und er tut dies ohne Ansehen der Person, Partei oder Pressemitteilung.
Im Gegensatz zur Politik kennt der Markt keine Ideologie. Er fragt nicht, ob eine Idee als „sozial gerecht“, „ökologisch sinnvoll“ oder „regulatorisch harmonisiert“ gilt. Er prüft lediglich, ob sie nachgefragt wird – ob jemand bereit ist, dafür zu zahlen. Das mag kühl wirken, ist aber der Grund für seine außergewöhnliche Effizienz: Der Markt täuscht sich nicht dauerhaft. Er irrt, gewiss – aber er korrigiert sich. Und zwar schnell, sichtbar und auf eigene Rechnung.
Das unterscheidet ihn fundamental von staatlichen Entscheidungsstrukturen. Dort, wo politische Programme versagen, wird selten angepasst, sondern weiterfinanziert. Fehlallokation wird nicht abgebaut, sondern umetikettiert. Wo der Markt eine negative Rendite offenlegt, ruft der Staat zur „resilienten Transformation“ auf – mit Zusatzmitteln aus dem Sondertopf. Im Markt führt ein Irrtum zur Insolvenz. In der Politik führt er zur Nachbewilligung.
Man sollte diesen Unterschied nicht verharmlosen. Denn in einer Welt, in der politische Akteure zunehmend versuchen, Märkte durch Zielvorgaben, Förderkaskaden und Lenkungssteuern zu „verbessern“, entsteht der Eindruck, die ökonomische Realität lasse sich verordnen. Das ist ein Irrglaube mit hoher Schadensbilanz. Die Preisbildung ist kein administrativer Vorgang, sondern ein verdichtetes Informationssystem. Wer in dieses System eingreift, weil ihm das Ergebnis missfällt, handelt wie ein Kapitän, der das Barometer manipuliert, weil ihm das Wetter nicht passt.
Natürlich gibt es Marktversagen – wie es auch Systemversagen, Behördenversagen und gelegentlich Vernunftversagen gibt. Aber das Besondere am Markt ist, dass seine Fehler sichtbar und behebbar sind. Jeder, der an ihm teilnimmt, kann sich irren. Aber niemand kann sich dauerhaft verstecken. Der Markt kennt keine Quotierungen, keine Sprecherkreise, keine Leitplanken des Erlaubten. Er prüft nur eines: ob ein Bedürfnis getroffen wird – oder eben nicht.
Manche halten das für brutal. In Wahrheit ist es befreiend. Denn es erlaubt dem Tüchtigen, unabhängig von Herkunft, Netzwerk oder Haltung, erfolgreich zu sein. Es erlaubt dem Kunden, zu wählen – und dem Anbieter, zu lernen. Der Markt ist nicht gerecht im moralischen Sinne. Aber er ist gerecht im funktionalen. Und das macht ihn, bei allen Unvollkommenheiten, zur ehrlichsten Institution, die eine freiheitliche Gesellschaft besitzt.
Bilanzsatz:
Der Markt kann verlieren – und irren.
Aber er verschleiert nichts, verklärt nichts, verschont niemanden.
Das macht ihn unbequem – und unverzichtbar.