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Bruttodenken – Nettosprechen

Bruttodenken – Nettosprechen

Über die Verschleierung der wirtschaftlichen Wirklichkeit durch politische Sprache

Betrachtungen zur Lage · Ausgabe 7


Es ist eine Eigenart unserer Zeit, dass man in politischen Debatten immer weniger das meint, was man sagt – und immer weniger sagt, was man meint. Man spricht von „Entlastung“, wenn Steuern nur etwas langsamer steigen. Man nennt Subventionen „Zukunftsinvestitionen“, Schulden „Sondervermögen“ und staatliche Preisvorgaben „Marktanreize“. Das wirtschaftliche Denken bleibt oft brutto – doch das Sprechen wird zunehmend netto.

Was heißt das? Es heißt, dass politische Kommunikation wirtschaftliche Realitäten weichzeichnet, indem sie Begriffe entkernt und ersetzt. Wer heute über Haushaltspolitik spricht, vermeidet konsequent das Wort „Sparen“. Stattdessen heißt es: „Prioritäten setzen“. Wer von Staatsausgaben spricht, sagt lieber: „Wir investieren in Menschen“. Und wer Einnahmen erhöhen will, spricht von „fairer Beteiligung“. Die Sprache wird moralisiert – um die Bilanz zu kaschieren.

In der Wirtschaft nennt man so etwas: Intransparenz. In der Politik nennt man es: Kommunikation mit Haltung. Doch in beiden Fällen gilt: Wer Dinge nicht klar benennt, macht sie nicht besser – sondern schwerer korrigierbar. Denn Sprache prägt Wahrnehmung, und Wahrnehmung beeinflusst Entscheidung. Wer dauerhaft netto spricht, wird irgendwann auch netto rechnen – und merkt zu spät, dass das Brutto fehlt.

Ein Beispiel: Wenn Lohnsteigerungen gefeiert werden, ohne auf die kalte Progression hinzuweisen, entsteht beim Empfänger das Gefühl eines Gewinns – während real Kaufkraft verloren geht. Wenn Unternehmenssteuern „nur die Großen treffen sollen“, aber Investitionen ausbleiben, sind es die Arbeitsplätze der Kleinen, die leiden. Und wenn Energiepreise durch politische Eingriffe gedeckelt werden, ohne den Preisbildungsmechanismus zu erklären, dann hält man für gesenkt, was nur verschoben wurde – und später doppelt bezahlt wird.

Das Bruttodenken ist notwendig: Es zeigt die ganze Rechnung. Es berücksichtigt Kosten, Risiken, Nebeneffekte. Es nimmt auch unangenehme Zahlen ernst. Nettosprechen hingegen betäubt: Es verspricht nur das Wünschenswerte, blendet das Notwendige aus – und weckt am Ende falsche Erwartungen, die keine fiskalische Realität mehr einlösen kann.

Ordnungspolitik hat kein Interesse am Euphemismus. Sie besteht auf der Klarheit der Begriffe – nicht aus Dogmatismus, sondern aus Verantwortung. Denn wer die ökonomische Lage beschönigt, verschiebt nicht nur Zahlen, sondern Vertrauen. Und das ist, wie jeder Kaufmann weiß, die härteste Währung von allen.


 

Bilanzsatz:
Wer wirtschaftlich ehrlich handeln will, muss sprachlich ehrlich rechnen.
Bruttodenken ist keine Härte – sondern Voraussetzung für Verlässlichkeit.
Denn am Ende zahlt nicht das Argument, sondern die Rechnung.