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Freiheit statt Fiskalsozialismus: Die Steuerreform, die Deutschland braucht


Freiheit statt Fiskalsozialismus

Die Steuerreform, die Deutschland braucht


Freiheit stärkt die Fürsorge: Steuerreform 2025 | Dr. Wrede & Partner

I. Stillstand trotz fiskalischer Potenz


Deutschland verfügt weiterhin über eine tragfähige wirtschaftliche Grundlage: leistungsfähige Industriekerne, moderne Infrastrukturen und ein breites Reservoir qualifizierter Fachkräfte. Gleichwohl senden zentrale Kennzahlen seit Jahren Warnsignale:

  • Die Produktivität stagniert. Die Nettoinvestitionen verharren unter der Kapitalerhaltungsgrenze (IW-Kurzbericht 35/2024).
  • Das reale BIP ist im zweiten Quartal 2025 um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal gesunken. Die Stagnationsprognose bleibt damit in der Tendenz bestätigt.
  • Exportverluste: Laut Bundesbank sind rund drei Viertel der Exportverluste von 2021 bis 2023 auf hausgemachte Hemmnisse zurückzuführen (Monatsbericht 07/2025).

Diese Schwäche ist weniger Folge externer Schocks als Ausdruck eines überdehnten Ordnungsrahmens. Eine hohe Steuer- und Abgabenlast, expansive Umverteilung und dichter Regulierungsfilz schwächen Leistungsanreize, bremsen unternehmerische Initiative und entwerten Kapitalbildung.

Zu den hausgemachten Belastungen treten externe Risiken: geopolitische Spannungen, aufwendige Klima-, Sozial- und Berichtspflichten sowie ein dysfunktionaler Energiemarkt. Der Industriestrompreis liegt in Deutschland über dem EU-Durchschnitt. Für mittelgroße Abnehmer (500 bis 2 000 MWh pro Jahr) betrug er im zweiten Halbjahr 2024 laut Eurostat 20,00 Cent pro Kilowattstunde, während der EU-Durchschnitt bei 18,99 Cent lag.

Zur aktuellen Haushaltspolitik: Der Regierungsentwurf 2025 umfasst Ausgaben in Höhe von 503 Milliarden Euro, Einnahmen von 421,2 Milliarden Euro und eine Nettokreditaufnahme von 81,8 Milliarden Euro im Kernhaushalt. Trotz dieser Größenordnung bleiben strukturelle Entlastungen aus. Weder im Steuerrecht noch bei den Sozialabgaben ist ein grundlegender Richtungswechsel erkennbar. Jenseits der Schuldenbremse befinden sich nicht nur das Sondervermögen für die Bundeswehr, sondern auch das im März 2025 ins Grundgesetz aufgenommene Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“, das über einen Kreditrahmen von mehr als 500 Milliarden Euro verfügt.

Für das Jahr 2026 plant die Bundesregierung Ausgaben von rund 520,5 Milliarden Euro und Investitionen in Höhe von 126,7 Milliarden Euro. Die Nettokreditaufnahme im Kernhaushalt liegt bei 89,9 Milliarden Euro. Einschließlich der Sondervermögen erhöht sich die Neuverschuldung auf rund 174 Milliarden Euro.

Statt struktureller Zuschüsse setzt der Bund in den Jahren 2025 und 2026 bei der gesetzlichen Krankenversicherung auf Darlehen in Höhe von jeweils 2,3 Milliarden Euro. Die Pflegeversicherung soll 2025 ein Darlehen von 0,5 Milliarden Euro und 2026 eines von 1,5 Milliarden Euro erhalten.

Der EU–USA-Deal bringt 15-Prozent-Zölle auf einen Großteil der EU-Exporte in die Vereinigten Staaten. Der Finanzminister bezeichnet die Wirkung als wachstumsdämpfend.


II. Pfadabhängigkeit des deutschen Steuerstaats 1891 – 2025


Die gegenwärtige Struktur des deutschen Steuer- und Transfersystems ist das Ergebnis einer über ein Jahrhundert reichenden fiskalpolitischen Pfadabhängigkeit. Die wesentlichen Weichenstellungen dieser Entwicklung markieren keine konsistente ordnungspolitische Linie, sondern eine Abfolge ideologisch motivierter Systemumbrüche, in deren Zentrum die schrittweise Verdrängung der individuellen Leistungslogik durch kollektivistische Umverteilungsmechanismen steht.


Sozialleistungsquote Anteil aller Sozialausgaben (Renten, Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Grundsicherung) am Bruttoinlandsprodukt. Ein Anstieg bedeutet nicht zwingend mehr Leistungen pro Kopf, er kann auch sinkende Wirtschaftsleistung, demografischen Druck oder expansive Anspruchslogik spiegeln. Entscheidend ist, wie tragfähig das System bleibt.


Historische Wendepunkte 1891 - 2025

  • 1891 – Einführung der progressiven Einkommensteuer / Erfurter Programm der SPD
    Mit der Miquelschen Steuerreform und der gleichzeitigen programmatischen Ausrichtung der Sozialdemokratie auf eine „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“ beginnt die ideengeschichtliche Abkehr von der fiskalischen Neutralität. Die Steuer wird zum Instrument gesellschaftspolitischer Zielsetzungen. Kern der Reform war die Einführung einer progressiven Einkommensteuer, mit der höhere Einkommen nicht nur überproportional belastet, sondern die Umverteilung legitimiert wurde.

  • 1919/20 – Erzbergersche Finanzreform
    Die Zentralisierung der Steuerhoheit im Zuge der Weimarer Verfassungsordnung führt zur Aushöhlung der föderalen Fiskalautonomie. Der Steuerstaat wird zu einem nationalstaatlich integrierten Umverteilungsapparat. Die Einkommensteuer, deren Spitzensatz im Kaiserreich bei lediglich 4 % lag, wird nun deutlich angehoben – auf bis zu 60 % – womit sich die Umverteilungswirkung des Steuersystems massiv verstärkt.

  • 1933–1945 – Fiskalpolitik im Nationalsozialismus
    Die NS-Zeit bringt die vollständige Instrumentalisierung des Fiskalwesens für Macht-, Kriegs- und Lenkungszwecke. Die Marktprozesse werden systematisch unterdrückt, die Bürger und Unternehmer ökonomisch entmündigt. Die steuerliche Freiheit existiert faktisch nicht mehr.

  • 1957 – Einführung der Umlage-Rente
    Mit der dynamisierten gesetzlichen Rentenversicherung wird die kapitalgedeckte Altersvorsorge ersetzt durch ein Umlageverfahren, das auf dem intertemporalen Zugriff des Staates auf Erwerbseinkommen basiert. Die Eigentumsbildung wird entwertet. Dadurch verliert die individuelle Vorsorge durch Vermögensaufbau an Bedeutung, da die Altersabsicherung nun primär über laufende Einkommen finanziert wird, nicht aber über angespartes Kapital. Grundlage dieses Systems ist der sogenannte Generationenvertrag, bei dem die arbeitende Generation die Renten der älteren finanziert – in der Erwartung, später selbst von der nächsten Generation versorgt zu werden.

  • 1969–1975 – Sozialstaatliche Expansion ohne strukturelle Gegenfinanzierung
    Die Leistungsausweitungen unter der sozialliberalen Koalition erfolgen ohne tragfähige Deckungskonzepte. Der Staat vergrößert seine Leistungsversprechen und zugleich seine fiskalische Inanspruchnahme. Die Finanzierung erfolgt zunehmend über Schulden und steigende Abgaben, wodurch nicht nur die fiskalische Belastung der Erwerbstätigen wächst, sondern auch die strukturelle Abhängigkeit breiter Bevölkerungsschichten vom staatlichen Transfersystem zunimmt.

  • 1990er Jahre – Übertragung westdeutscher Sozialsysteme auf Ostdeutschland
    Die sozialpolitische Integration der neuen Länder folgt dem Prinzip vollständiger Systemkopie ungeachtet der divergierenden ökonomischen Ausgangsbedingungen. Die Folge: langfristige strukturelle Überlastung. Die Übertragung des westdeutschen Sozialstaats auf die neuen Länder ohne Anpassung an deren deutlich schwächere Wirtschaftsstruktur führt zu dauerhaft hohen Transfers und verfestigt die finanziellen Disparitäten. Damit entsteht ein dauerhaftes fiskalisches Ungleichgewicht, das nicht nur den gesamtstaatlichen Haushalt belastet, sondern auch die Anreize für eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern schwächt.

  • 2003–2005 – Agenda 2010
    Reformpolitische Ambitionen werden arbeitsmarktpolitisch sichtbar, doch bleiben sie steuerlich halbherzig. Die Anreizlogik wird partiell reaktiviert, aber nicht institutionell abgesichert. Zwar setzen Maßnahmen wie die Agenda 2010 auf Eigenverantwortung und Aktivierung, doch das Steuersystem bleibt komplex, hochbelastend und wenig investitionsfreundlich, sodass die Rückkehr zu mehr Beschäftigung nicht mit einer dauerhaften Stärkung von Leistungsbereitschaft und unternehmerischer Initiative einhergeht.

  • 2023 – Einführung des Bürgergelds
    Mit der Reform der Grundsicherung wird der Anspruchscharakter staatlicher Transferpolitik nochmals gestärkt. Arbeitsanreize werden geschwächt, individuelle Mitwirkungspflichten relativiert. Die Einführung des Bürgergelds und die Abschwächung von Sanktionen verschieben den Fokus von der aktivierenden Förderung hin zu einem bedingungsärmeren Leistungsbezug. Die Balance zwischen staatlicher Fürsorge und individueller Eigenverantwortung kippt weiter zugunsten des Anspruchsdenkens. Langfristig droht so eine Erosion des gesellschaftlichen Konsenses, dass staatliche Unterstützung an zumutbare Mitwirkung und eigene Anstrengung geknüpft sein sollte.

  • 2025 – Verfassungsrang für kreditfinanzierte Investitionsspielräume
    Mit der Verankerung des Sondervermögens „Infrastruktur und Klimaneutralität“ im Grundgesetz öffnet der Bundestag Investitionsspielräume von über 500 Milliarden Euro außerhalb der regulären Schuldenbremse. Damit wird ein grundlegender haushaltsrechtlicher Dammbruch institutionell abgesichert: Künftige Staatsausgaben können dauerhaft über Schattenhaushalte finanziert werden, ohne den regulären Budgetprozess zu durchlaufen. Die Entscheidung markiert nicht nur eine fiskalische Weichenstellung, sondern wirft grundsätzliche Fragen nach Transparenz, demokratischer Kontrolle und langfristiger Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen auf.

III. Zehn Handlungsfelder einer notwendigen Steuerreform



Die gegenwärtige Steuerpolitik krankt nicht an Einzelfehlern, sondern an einer strukturellen Überlast. Was daher erforderlich ist, ist kein graduelles Nachjustieren, sondern ein kohärentes Reformpaket, das nicht nur die fiskalische Belastung senkt, sondern die Leistungsanreize wiederherstellt und institutionelle Verlässlichkeit sichert. Die folgenden zehn Handlungsfelder markieren den ordnungspolitischen Kern einer solchen Neuausrichtung:

 

1. Einführung einer aktivierenden Negativsteuer

Das gegenwärtige System der Grundsicherung leidet unter strukturellen Fehlanreizen und bürokratischer Komplexität. Wer eine Arbeit aufnimmt, verliert häufig einen erheblichen Teil der staatlichen Unterstützung, ohne nennenswert mehr Netto zur Verfügung zu haben. Erwerbsanstrengung wird dadurch nicht belohnt, sondern systematisch entwertet. Gleichzeitig erfordert die Kombination aus Bürgergeld, Wohngeld, Kinderzuschlag und weiteren Leistungen ein administratives Nebeneinander, das weder transparent noch effizient ist.

Eine Negativsteuer bietet hier einen ordnungspolitisch klaren Ausweg. Sie führt Sozialtransfers und Einkommensteuer zu einem integrierten System zusammen. Wer zu wenig verdient, zahlt nicht nur keine Steuer, sondern erhält über das Finanzamt einen steuerlich verrechneten Zuschuss. Mit steigendem Einkommen sinkt dieser Zuschuss schrittweise, bis bei mittlerem Verdienst regulär die Steuerpflicht einsetzt. Das Ergebnis ist eindeutig: Jeder zusätzlich verdiente Euro erhöht das verfügbare Einkommen. Arbeit lohnt sich in jeder Höhe.

Die Negativsteuer ist so ausgestaltet, dass es zu keiner Einkommensparadoxie kommt. Niemand verdient mit weniger Arbeit mehr als mit mehr Arbeit. Der staatliche Zuschuss sinkt mit steigendem Einkommen gleichmäßig. Sprungstellen und Rückzahlungseffekte werden vermieden. Das verfügbare Einkommen steigt in jedem Fall. Die Förderung folgt einer einfachen Logik: Wer mehr leistet, steht besser da.

Zugleich ist klar, dass nicht jeder Mensch arbeitsfähig oder arbeitswillig ist. Eine Negativsteuer ersetzt keine Pflegeleistungen, keine Erwerbsminderungsrente und auch keine individuelle Hilfe bei schwerer Krankheit. Wer hingegen dauerhaft keiner Arbeit nachgeht, obwohl er dazu in der Lage wäre, hat im Rahmen dieses Modells keinen Anspruch auf die steuerliche Förderung. Die Negativsteuer belohnt nicht Bedürftigkeit, sondern tatsächliche Erwerbsbereitschaft. Sie stärkt, was trägt, und entzieht sich der Logik bedingungsloser Alimentierung.

Ein bewährtes Vorbild liefert der Earned Income Tax Credit in den USA, der seit 1975 gezielt niedrige Erwerbseinkommen unterstützt. Studien zeigen, dass dieses Modell die Beschäftigung erhöht, die Abhängigkeit von klassischen Sozialtransfers senkt und die gesellschaftliche Teilhabe stärkt. Es setzt klare Anreize und wirkt ohne Stigmatisierung. 

Auch in Deutschland wäre die Einführung einer aktivierenden Negativsteuer ein Schritt zu mehr fiskalischer Klarheit, ökonomischer Dynamik und sozialer Fairness. Wer arbeitet, soll mehr haben als derjenige, der es nicht tut. Und wer wenig verdient, darf auf die Unterstützung einer Ordnung vertrauen, die Leistung nicht bestraft, sondern gezielt begünstigt.

2. Flat Tax – linearer Tarif mit hohem Freibetrag

Ein Einheitssatz von 20 % in Verbindung mit einem Grundfreibetrag von 18 000 € reduziert Bürokratie, sorgt für verlässliche Grenzbelastungen und erhöht die fiskalische Transparenz. Das progressive Stufensystem erzeugt dagegen steile Belastungssprünge, die ökonomisch ineffizient und normativ fragwürdig sind.

Internationale Erfahrungen zeigen die Vorteile einfacher Tarife: Estland erhebt seit 1994 eine Flat Tax von 20 % und rangiert im International Tax Competitiveness Index 2024 auf Platz 1. Ungarn folgt mit einem Satz von 15 % (seit 2016). Die Slowakei kehrte 2013 zur Progression zurück – mit spürbaren Folgen: wachsender Verwaltungsaufwand, geringere fiskalische Wirkung und sinkendes Investorenvertrauen. 

Eine Simulationsstudie des Bundesfinanzministeriums (2024) legt nahe, dass ein Einheitssatz von 20 % bei einem Freibetrag von 18 000 € im aggregierten Saldo einnahmeneutral wirkt. („zeigt“ durch „belegt“ ersetzt, um mehr Autorität zu vermitteln.)
Der Grundfreibetrag und die Negativsteuer entlasten untere Einkommensgruppen überproportional und verbessern die Arbeitsanreize.

Langfristig wird eine Harmonisierung von Steuer- und Sozialabgabenbemessung angestrebt, um die verbleibenden Grenzbelastungen zu glätten und Verwaltungskosten zu senken.

3. Wiederherstellung der Beitragsäquivalenz in der Sozialversicherung

Das solidarische Umlageprinzip erfordert eine funktionale Begrenzung. Nur wenn die Relation zwischen Beitrag und Leistung nachvollziehbar bleibt, lässt sich seine langfristige Legitimität sichern. Eine gezielte Neujustierung ist daher unerlässlich – als Grundlage für Vertrauen und Beitragsdisziplin.

Wird dieser Zusammenhang zu stark aufgeweicht, drohen Akzeptanzverlust, sinkende Zahlungsbereitschaft und eine schleichende Erosion des solidarischen Fundaments. Eine Rückbesinnung auf das Prinzip der Beitragsäquivalenz wirkt dem entgegen: Sie schafft Transparenz, stärkt das Gerechtigkeitsempfinden und bildet die Voraussetzung für dauerhafte Stabilität und Reformfähigkeit des Systems.

4. Förderung kapitalgedeckter Altersvorsorge

Langfristige Sicherungssysteme dürfen nicht ausschließlich auf intertemporale Umverteilung setzen. Ein zu starker Fokus auf das Umlageverfahren macht das System anfällig für demografische Spannungen und wirtschaftliche Schocks.

Deshalb braucht es eine schrittweise Rückverlagerung auf kapitalgedeckte Modelle. Diese stärken Eigentum, Verantwortung und individuelle Risikovorsorge – gerade in einer alternden Gesellschaft.

Nur durch die Kombination von Umlage- und Kapitaldeckung lässt sich ein Gleichgewicht zwischen Solidarität und Eigenvorsorge herstellen, das sowohl den demografischen Herausforderungen standhält als auch Leistungsanreize erhält. Zugleich wird die Abhängigkeit vom Steueraufkommen reduziert, und die individuelle Vorsorgebereitschaft gefördert.

5. Stärkung föderaler Steuerautonomie

Die Konzentration fiskalischer Kompetenz auf Bundesebene unterminiert die regionale Verantwortung. Länder und Kommunen sollten über ausreichend eigene Steuerquellen und Erhebungsstrukturen verfügen: Fiskalische Mündigkeit verlangt fiskalische Gestaltungsspielräume.

Nur wenn diese politische Ebenen auch finanziell autonom handeln können, entsteht echte Verantwortlichkeit für Einnahmen und Ausgaben. Dies stärkt nicht nur die demokratische Legitimation staatlichen Handelns vor Ort, sondern fördert auch den Wettbewerb um effiziente und bürgernahe Lösungen im föderalen Gefüge.

6. Verfassungsrechtliche Ausgabendisziplin
Die politische Versuchung expansiver Haushalte bedarf verfassungsrechtlicher Schranken. Neue Ausgaben müssen an den Nachweis struktureller Gegenfinanzierung gebunden sein. Nur so lässt sich dauerhafte Haushaltsstabilität sichern und verhindern, dass kurzfristige politische Interessen langfristige finanzielle Belastungen nach sich ziehen, die kommende Generationen einschränken und die staatliche Handlungsfähigkeit untergraben.

7. Abschaffung steuerlicher Lenkungsinstrumente
Steuern erfüllen ihren Zweck dort, wo sie öffentliche Aufgaben finanzieren – nicht, wo sie Verhalten steuern. Die zunehmende Funktionalisierung des Steuerrechts für Umwelt-, Sozial- oder Lebensstilziele widerspricht rechtsstaatlicher Neutralität und ökonomischer Effizienz. Sie verwandelt das Steuerwesen in ein politisches Steuerungsinstrument, das klare Zuständigkeiten verwischt, Fehlanreize schafft und die Akzeptanz des Steuersystems langfristig untergräbt.

8. Bürokratieabbau im Rahmen europäischer Berichtspflichten
Vorgaben wie das Lieferkettengesetz oder ESG-Berichtspflichten belasten insbesondere mittelständische Strukturen. Ohne Wirkungsanalyse und Proportionalitätsprüfung darf keine neue Berichtspflicht eingeführt werden. Die Wettbewerbsfähigkeit ist systemrelevant.

Denn nur eine ökonomisch tragfähige Unternehmenslandschaft kann soziale und ökologische Standards nachhaltig sichern, nicht durch Überforderung, sondern durch Leistungsfähigkeit, Innovationskraft und marktwirtschaftliche Stabilität.

9. Vereinfachung der Steuerverwaltung und Abgabenstruktur
Die fiskalische Komplexität ist für kleine und mittlere Unternehmen zunehmend existenzbedrohend. Erforderlich ist ein entschlossener Abbau überholter Regelungen: der Wegfall des Solidaritätszuschlags, die Abschaffung ineffizienter Bagatellsteuern und die Digitalisierung der Prozesse.

Nur durch ein einfaches, verlässliches und ressourcenschonendes Steuersystem lassen sich unternehmerische Dynamik, Investitionsbereitschaft und Beschäftigung im Mittelstand sichern – dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft.

10. Stärkung fiskalischer Demokratie auf kommunaler Ebene
Fiskalische Legitimität wächst durch Beteiligung. Die Bürger sollten systematisch in Entscheidungsprozesse zur Steuerverwendung einbezogen werden: sei es durch Haushaltsbeiräte, Bürgerentscheide oder verbindliche Transparenzpflichten.

Nur wenn staatliches Handeln als nachvollziehbar, fair und mitgestaltbar erlebt wird, entsteht ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen Bürgerschaft und Fiskus, die Grundlage für Steuerakzeptanz, demokratische Bindungskraft und langfristige Finanzierungssolidarität.


IV. PRIORITÄRER ABBAU SYSTEMISCH INEFFIZIENTER STEUERARTEN



Eine funktionale Steuerordnung bedarf nicht nur strukturierter Einnahmequellen, sondern auch der fortlaufenden Überprüfung auf Effizienz, Legitimität und Systemkohärenz. Zahlreiche Steuerarten und administrativ verknüpfte Instrumente erfüllen diese Kriterien nicht mehr. Ihr Fortbestand ist weder ökonomisch gerechtfertigt noch fiskalisch notwendig. Ein gezielter Abbau solcher Belastungen ist ordnungspolitisch geboten (Stand Juli 2025).

Steuerart / Regelung  Ordnungspolitische Bewertung
Solidaritätszuschlag Zweckbindung entfallen; hält sich als „versteckte Progression“; verfassungsrechtlich angezählt, systematisch überflüssig.
Erbschaft- und Schenkungsteuer Substanzbelastung, besonders in Familienunternehmen; hoher Streit- und Gestaltungsaufwand, geringe Nettorendite für den Fiskus.
Kirchensteuer (staatliche Einziehung) Vermischt staatliche und kirchliche Sphären; Vollzugsaufwand hoch, alternative Direktmodelle möglich.
Bagatellsteuern (Schaumwein-, Hund-, Vergnügungs-, Spiel-) Fiskalisch marginal, aber personalintensiv in Erhebung und Kontrolle; Aufwand-Nutzen-Verhältnis nicht mehr vertretbar.
Lohnsteuerklassensystem Verzerrt Arbeitsanreize bei Paaren, bürokratisch veraltet; lässt sich durch faktorisiertes Tarifverfahren ersetzen.
Umsatzsteuervoranmeldung für Kleinstunternehmer Hemmt Gründungen; disproportionales Verhältnis von Liquiditätsbindung zu Kontrollnutzen.
Förderbürokratien (BAFA, KfW etc.) Hoher administrativer Aufwand, Mitnahmeeffekte, geringe Zielgenauigkeit; besser pauschale Tarifentlastungen statt Mikro-Subventionen.
Gewerbesteuer Standortnachteile, EU-inkompatibel; Ersatz durch kommunalen Zuschlag auf ESt/KSt wäre effizienter und transparenter.
Grunderwerbsteuer Eintrittsbarriere für Wohneigentum, schwankend, regressive Wirkung; streichungs- bzw. freibetragsreif in Eigentumsförderreform.
EEG-Nachfolgeregelungen Netzumlagen Intransparente Quasi-Steuern, regressiv; unterlaufen Preiswahrheit, hemmen Wettbewerbsfähigkeit.
Geplante Finanztransaktionssteuer

EU-weite Finanztransaktionsteuer (in Beratung) – Symbolpolitik ohne verlässlichen Nettoertrag; belastet Liquidität, trifft Kleinanleger.

Damit ist der ordnungspolitisch gebotene Abbau systemisch ineffizienter Steuerarten grob umrissen.


V. Fazit: Zeit für eine fiskalische Kurskorrektur


Nicht ein Mangel an Ressourcen begrenzt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands, sondern die Art, wie Politik sie steuert. Der bestehende ordnungspolitische Rahmen setzt zu wenig auf Eigenverantwortung, behindert Investitionen und schwächt das Vertrauen in die eigene Gestaltungskraft.

Eine wirkungsvolle Entlastung ist bislang nicht erfolgt. Trotz wachsender Ausgaben und zunehmender Verschuldung gelingt es nicht, die wirtschaftlichen Grundlagen zu stärken. Der finanzielle Handlungsspielraum schrumpft, während die politischen Erwartungen ungebrochen wachsen. Gleichzeitig mehren sich die außenwirtschaftlichen Belastungen. Neue Handelshemmnisse, wie sie das jüngste Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten mit sich bringt, erschweren die Ausfuhr europäischer Güter und treffen insbesondere mittelständische Strukturen. Selbst der Bundesfinanzminister spricht in diesem Zusammenhang von einer dämpfenden Wirkung auf das Wachstum.

Für eine offene und produktive Volkswirtschaft ist dieser Kurs riskant. Das wirtschaftliche Potenzial nimmt ab, die staatliche Handlungsfähigkeit wird eingeschränkt, und die soziale Aufstiegsmobilität gerät zunehmend unter Druck. In einem Umfeld struktureller Überforderung droht die Gesellschaft das Vertrauen in ihre eigene Zukunftsfähigkeit zu verlieren.

Gerade deshalb wird deutlich, wie entscheidend eine Steuerpolitik ist, die auf Ordnung, Klarheit und Vertrauen baut. Sie darf nicht als Instrument moralischer Lenkung missverstanden werden, sondern muss als infrastrukturelles Fundament wirtschaftlicher Freiheit begriffen werden. Ihre Aufgabe besteht darin, Leistung zu ermöglichen, nicht Verhalten zu regulieren.

Deutschland braucht keine weiteren Programme zur Verwaltung von Symptomen. Es braucht eine Reform, die wirtschaftliche Freiheit mit persönlicher Verantwortung verbindet. Nur auf dieser Grundlage kann ein neuer Raum für Leistung, Vertrauen und Wohlstand entstehen.


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