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Das Gehirn als Gefechtsfeld

Das Gehirn als Gefechtsfeld

China verlagert den Krieg vom Schlachtfeld ins Bewusstsein.


China - Das Gehirn als Gefechtsfeld | Dr. Wrede & Partner

Lage und Handlungsbedarf


Die Volksbefreiungsarmee Chinas (PLA) richtet ihren strategischen Fokus zunehmend auf das Innere des Menschen. Ziel ist nicht mehr allein die Kontrolle von Infrastrukturen oder Systemen, sondern die Beeinflussung kognitiver Prozesse: Wahrnehmung, Urteilsbildung, Entscheidungsfähigkeit.

Generalmajor He Fuchu, Militärwissenschaftler und stellvertretender Direktor der Akademie für Militärwissenschaften, formuliert diese Entwicklung wie folgt:

"Das Operationsfeld wird sich vom physischen Raum und dem Informationsraum in das Bewusstseinsreich ausdehnen; das menschliche Gehirn wird zu einem neuen Kampfraum." 

Diese Aussage ist nicht rhetorisch gemeint. Sie beschreibt die programmatische Richtung einer strategischen Neuausrichtung.

Das "China Brain Project"

Seit 2016 verfolgt das "China Brain Project" die systematische Verbindung neurowissenschaftlicher Forschung mit militärischer Anwendung. Im Zentrum stehen Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCIs), die darauf abzielen, neuronale Signale direkt in technische Steuerimpulse zu übersetzen. Der Zweck: Reaktionszeiten verkürzen, operative Effizienz erhöhen, technologische Führungsfähigkeit ausbauen. 

Gleichzeitig wird das biologische Potenzial zur Leistungssteigerung untersucht. In einem bekannten Teilprojekt wurde das menschliche Gen MCPH1 in Primaten übertragen. Die Tiere zeigten eine verlangsamte, dafür strukturell komplexere Hirnentwicklung sowie verbesserte Merkfähigkeit. Dies deutet auf eine gezielte Erforschung kognitiver Optimierung hin – mit militärischer Perspektive.

Kognitive Kriegsführung

Die PLA erweitert damit das Verständnis von Kriegsführung. Es geht nicht mehr allein um physische Räume, sondern um die Steuerung von Denkprozessen. Der Mensch wird nicht nur als Träger von Handlungskraft, sondern als Objekt gezielter Einflussnahme begriffen. Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Entscheidungsmechanismen geraten in den Fokus. Informationsverarbeitung wird zum sicherheitsrelevanten Ziel.

Der Westen: fragmentiert und reaktiv

In westlichen Staaten existieren durchaus Programme zur Mensch-Maschine-Interaktion, zur Abwehr digitaler Desinformation und zur Cyberverteidigung. Doch diese Maßnahmen sind meist sektoral organisiert und nicht strategisch integriert. Eine umfassende sicherheitspolitische Doktrin, die den kognitiven Raum systematisch berücksichtigt, fehlt bislang.

Dabei ist die Bedrohungslage real. Kognitive Einflussnahmen sind nicht unmittelbar sichtbar, entfalten aber nachhaltige Wirkung. Sie können Urteilsbildung verzerren, Entscheidungsprozesse hemmen, Vertrauen unterminieren. Ohne Schutz dieses sensiblen Raums droht ein Verlust an strategischer Eigenständigkeit. 

Handlungsschwerpunkte

1. Kognition als strategischer Operationsraum.
Ein nationales Kompetenzzentrum für kognitive Sicherheit sollte etabliert werden. Dort sollten militärische, psychologische, medizinische und informationstechnische Fachdisziplinen zusammenwirken. Ziel ist die Entwicklung von Lagebildern, Frühwarnmechanismen und Schutzkonzepten.

2. Ausbildung und Befähigung von Führungskräften.
Kognitive Einflussnahme muss als feste Komponente in sicherheitspolitische Aus- und Fortbildung integriert werden. Planspiele, simulationsbasierte Übungen und Entscheidungstrainings schaffen operative Handlungsfähigkeit.

3. Rechtliche und ethische Orientierung.
Es bedarf international tragfähiger Leitlinien zur Begrenzung neurotechnologischer Waffensysteme, zur Kontrolle dual-use-fähiger Forschung und zum Schutz neuronaler Daten als Teil der digitalen Selbstbestimmung.

4. Stärkung gesellschaftlicher Resilienz.
Medienkompetenz, Aufklärung über algorithmisch gesteuerte Wahrnehmung und digitale Einflussnahme gehören frühzeitig in Bildungs- und Berufsbildungsprogramme. 

5. Strategische Kommunikationsfähigkeit.
Nicht nur reaktiv auf Falschinformationen antworten, sondern eigene Narrative entwickeln, die Werte, Absichten und sicherheitspolitische Prinzipien glaubwürdig und strategisch vermitteln.

Fazit

Der kognitive Raum ist zu einem sicherheitspolitisch relevanten Operationsfeld geworden. Die chinesische Führung agiert entlang dieser Linie – mit strategischer Zielklarheit, technologischer Initiative und langfristiger Planung. 

Staaten, die ihre Entscheidungsfähigkeit bewahren wollen, müssen diesen Raum schützen. Kognitive Sicherheit ist keine abstrakte Zukunftsfrage, sondern eine konkrete Führungsaufgabe – im Hier und Jetzt.